top of page
pablo-heimplatz-252c3DVk6gk-unsplash.jpg

JEANNE WOODTLI

Die Indie-Autorin aus Bern schreibt Liebesgeschichten mit Tiefgang, Rock'n'Roll und vielen Emotionen. Im wahren Leben ist sie Journalistin und Mama zweier wunderbarer Mädchen. Nach Sehnsüchtig» und «Nebelschwer» erscheint mit «Zauberfee auf Dauerschleife» im Herbst 2023 ihr dritter Roman.

Start: Willkommen
Zauberfee auf Dauerschleife eBook Amazon.jpg

«ZAUBERFEE AUF DAUERSCHLEIFE» ERSCHEINT AM 15. DEZEMBER 2023

Mein dritter Roman «Zauberfee auf Dauerschleife» ist fertig und erscheint am 15.  Dezeumber 2023 als E-Book und Printausgabe (erstmal exklusiv bei Amazon). Hier kann man das Buch bestellen.

Das E-Book von Nebelschwer ist am 8. Januar 2023 erschienen und auf Amazon / für Kindle erhältlich. Die Printausgabe ist am 16. Februar 2023 bei Books on Demand erschienen und dort oder im Buchhandel bestellbar. 

Interview im Bieler Tagblatt: Das Bieler Tagblatt hat über mich und meinen zweiten Roman «Nebelschwer» berichtet. Den Artikel kann man hier lesen. 

Start: Über uns
eve-hochzeitsfotografie_janne&ronny_luescherz-bielersee-495 (1).jpg

WER BIN ICH?

Geschrieben habe ich schon immer, und mit 12 Jahren gewusst, dass ich einmal Journalistin werden möchte. Mit 14 habe ich einen Roman über eine rebellische Adelstochter begonnen, die auf ihrem Araberpferd vor einer erzwungenen Hochzeit flieht. «Mondmädchen» liegt immer noch unveröffentlicht in einer Schublade und wartet darauf, dass meine Töchter genug alt sind, die Geschichte zu lesen. 

Danach war ich als leidenschaftlicher Harry-Potter-Fan lange in der Fanfiktion-Szene unterwegs. Im Herbst 2012 holte mich an einem Konzert in Zürich der Sänger der Band auf die Bühne – wer es war, bleibt mein Geheimnis 🤐 – und plötzlich waren Rockmusiker Eliot Wagner und Grafikerin Alys Allenbach in meinem Kopf. Die ziemlich emotionale Geschichte einer verhängnisvollen Freundschaft zwischen den beiden erschien 2013 im Eigenverlag. «Sehnsüchtig» war geboren.

Fast zehn Jahre, zwei Kinder und eine Hochzeit später waren Alys und Eliot plötzlich wieder da. Ab Spätsommer 2022 habe ich leicht besessen an der Fortsetzung geschrieben – die Rohfassung des Buches entstand tatsächlich innerhalb von acht Wochen. Wie es mit den beiden weitergegangen ist (oder eben nicht), erfährt man ab Februar 2023 im zweiten Band «Nebelschwer».

Start: Über mich

ZAUBERFEE AUF DAUERSCHLEIFE

Erscheint am 15. Dezember 2023

Klappentext

Für Joran «Jo» Stern läuft es gerade richtig gut: Der 26-Jährige wird der neue Manager des erfolgreichen Rockmusikers Eliot Wagner. Immer an Eliots Seite: Dessen Bassistin und beste Freundin Marlen Behringer. Obwohl der ruhige Mann im Hintergrund und die lebenslustige Musikerin nicht unterschiedlicher sein könnten, sprühen bald zarte Funken zwischen den beiden. Das Timing könnte allerdings nicht schlechter sein, denn während Joran sein Herz an die fünf Jahre ältere Femme Fatale verliert, hat Marlen nur Augen für jemand anderen. Kann Joran sie überzeugen oder wird sie in ihm immer nur den Manager ihrer Band sehen?

Leseprobe

Joran Stern ist frustriert. 1:4 gegen eine unterklassige Mannschaft zu verlieren, das kann doch wirklich nicht sein. Was für ein mieser Start in die Meisterschaft. Er nimmt den gelb-schwarzen Fanschal ab, durchtränkt von Schweiß und negativen Emotionen, und stopft ihn in den Rucksack.

Die Schlange vor dem Imbisswagen führt um das halbe Stadion herum. Jorans Magen grummelt enttäuscht. Sein Fußballklub ist stolzer Namensgeber einer eigenen Bratwurst. Diese ist für die Fans kulinarischer Kult. Gerade als Joran sich überlegt, ob er trotz Heißhunger Verzicht üben und heimgehen soll, hört er jemanden seinen Namen rufen und dreht sich in die Richtung, aus der die Stimme kam.

«Du bist es wirklich», sagt Alain Favre. Beim Anblick des bekannten Gesichts fühlt sich Joran gleich besser.

«Wie lange bist du schon im Land?»

«Erst ein paar Tage …»

Joran verbrachte das letzte Jahr in Großbritannien und arbeitete dort für eine Plattenfirma. Ein innovatives Indie-Label, ganz ähnlich wie Anklang Records. Letzteres gehört Alain. Nach der üblen Trennung von Miranda hatte Joran nichts mehr in der Stadt gehalten.

«Wie wars in London?»

«Großartig!»

«Das kann ich mir vorstellen.»

Eine Weile unterhalten sie sich über die Bands, die Joran getroffen hat, dann versinken sie brüderlich in der gemeinsamen Trauer über den miesen Auftritt ihrer Mannschaft. Deshalb beschließen sie, auf ein kühles Blondes in den nahegelegenen Biergarten zu gehen.

«Es ist super, dass ich dich getroffen habe, ich wollte dich ohnehin anrufen», sagt Alain nach dem zweiten Bier. «Ich habe vielleicht einen dicken Fisch für dich …»

Joran drückt seinen Rücken durch, der vom Plastiksitz im Stadion schmerzt, und mustert den älteren Mann. Ein dicker Fisch klingt gut. Er hätte in den nächsten Tagen ohnehin seine Kontakte auffrischen und seine Fühler nach einem neuen Job ausstrecken müssen. Das Leben in London war teuer, und seine Ersparnisse neigen sich dem Ende zu.

«Du machst mich neugierig …»

Alain Favre schmunzelt, und Joran bildet sich ein, in seinen Augen ein erwartungsvolles Glimmen zu sehen. «Davon gehe ich aus.» Er nimmt noch einen Schluck Bier. «Eliot Wagner sucht einen Manager.»

Eliot Wagner? Das ist Musik in Jorans Ohren. «Geht es ihm denn schon besser?»

Wagner, der neueste Stern am nationalen Rockhimmel, war im März mit einem Burnout in einer Klinik gelandet. Sein schneller Aufstieg war einem Musikaficionado wie Joran natürlich nicht entgangen. Er verfolgte das heimische Musikschaffen von London aus weiter. Eliot Wagner war ihm schon vor dessen Durchbruch ein Begriff gewesen. Joran kennt viele Nachwuchsbands mit Potenzial im Land, selbst wenn sie ziemlich unbekannt sind. Zumindest in seinen bevorzugten Sparten Rock, Indie und Rap. Die Geheimtipps eben.

Ein solcher waren auch Eliot Wagner and the Bad Bats jahrelang. Wagner – von Beruf eigentlich Bibliothekar – macht mit ein paar Weggefährten schon seit dem Gymnasium Musik. Mittlerweile muss er auf Mitte 30 zugehen. Vor anderthalb Jahren war Wagner über Nacht bekannt geworden, nachdem er den neuen Titelsong für die nicht totzukriegende Seifenoper Sehnsüchtig des staatlichen Fernsehens hatte schreiben dürfen. Innerhalb kurzer Zeit veröffentlichte Eliot Wagner zwei Top-10-Alben und tourte gleichzeitig weiter – bis zum Zusammenbruch.

Alains Stimme holt Joran jäh aus diesen Gedanken: «Ja, es geht Eliot etwas besser. Er ist aus der Klinik entlassen worden und zurzeit noch auf einer Schweden-Reise mit seiner Familie.»

«Er hat ein kleines Kind, oder?»

«Ja, mit seiner Verlobten Irina. Lilli ist noch keine zwei Jahre alt. Es war eine schlimme Zeit für alle.»

«Bestimmt. Bisher hat er sich selbst gemanagt?»

«Ja, spätestens nach der Sache mit Sehnsüchtig wollten wir ihm jemanden suchen, aber er hat sich stets geweigert.»

«Und jetzt hat er erkannt, dass es ohne nicht geht?»

Alain zögert. Joran kann eins und eins zusammenzählen. «Er will eigentlich immer noch nicht.»

«Begeistert ist er nicht, aber bereit, es zu akzeptieren. Seine Ärzte und seine Verlobte haben es zur Bedingung gemacht, ihn an die Arbeit zurückkehren zu lassen.»

«Sprich, er ist nicht ganz einfach?»

«Eliot ist ein großartiger Künstler und ein toller Mensch. Das wirst du merken, wenn du ihn kennenlernst. Aber ja, er kann schwierig sein. Ich glaube, dass du gut zu ihm passen könntest. Er braucht jemanden mit Gelassenheit und viel Geduld, der dennoch nicht nachgibt, wenn es nötig ist.»

«Klingt nach mir», pflichtet Joran ihm bei.

«Eben.»

«Wann kann ich ihn treffen?»

«Nicht gleich. Er hat jemanden aus seinem Umfeld bestimmt, der für ihn vorsondieren soll. Ich gebe deine Nummer weiter.»

«Darf ich etwas über diesen geheimnisvollen Kontakt erfahren?»

Alain leert sein Bier. «Sorry, ich habe Diskretion versprochen.» Seine Augen funkeln wieder.

«Warum grinst du so?»

«Sagen wir mal so, du wirst nicht enttäuscht sein. Und es ist gut, zu wissen, dass du ein Ausbund an Professionalität bist.»

«Es ist eine Frau», schlussfolgert Joran.

Alain legt den Zeigefinger an die Lippen. «Ich muss los. Die Familie wartet. Ruf mich an, wenn ihr euch getroffen habt.»

«Okay. Danke, dass du mich ins Spiel gebracht hast!»

«Sehr gern.»

*

Zwei Tage später quält Joran sich mittags durch den Supermarkt am Hauptbahnhof. Was für eine beschissene Idee, gerade jetzt einkaufen zu gehen. Hier ist immer viel los, aber jetzt stehen sich Pendlerinnen, Anzugsträger, Azubis, Ausflüglerinnen und all die anderen, die gerade Mittagspause haben, gegenseitig auf den Füßen herum.

Er drängt sich an zwei Teenies vorbei, die über den besten Energydrink philosophieren. Richtig beschissen, wiederholt Jorans innere Stimme. Aber sein Kühlschrank ist verwaist. Er hat fast bis Mittag geschlafen, weil der Netflix-Marathon die halbe Nacht gedauert hat. Es wird Zeit, dass sein Leben wieder einen geregelten Rhythmus bekommt. Dieses in-den-Tag-hinein-Leben tut Joran nicht gut, er denkt zu viel nach, vergleicht sich mit Menschen in seinem Umfeld und wird unzufrieden dabei. Seine Freunde ziehen ihn damit auf. «Hör auf zu grübeln. Dafür bist du viel zu jung.» Sie haben recht. Wer sonst hat mit Mitte 20 schon die eine oder andere Band gemanagt und war für ein Jahr beruflich in London?

Als Joran den letzten seiner Einkäufe an der Selbstbedienungskasse scannt, vibriert sein Handy in der Hosentasche. Hastig lässt er den Salatkopf in den Rucksack fallen und nimmt den Anruf entgegen.

«Joran Stern.»

«Hallo, hier ist Marlen Behringer,», dringt eine raue Frauenstimme an sein Ohr. In seinem Kopf ploppt das Bild einer in die Jahre gekommenen Bardame mit rot gefärbtem Haar, reichlich Tattoos und noch mehr Lebenserfahrung auf.

«Guten Tag.»

«Ich bin eine Freundin von Eliot. Alain hat mir deine Nummer gegeben.» Das «Du» überrascht Joran nicht, in der Musikszene ist es gang und gäbe. Marlens Tonfall gefällt ihm. Sie klingt gut gelaunt.

«Ja, er hat mir gesagt, dass ich einen Anruf erwarten darf.»

«Ich bin Eliots Bassistin. Alain hat mich gebeten, dass ich die Kandidaten treffen soll, die er für unser zukünftiges Management vorschlagen würde. Wie sieht es zeitlich bei dir aus?»

«Ich kann jederzeit. Ich war bis vor ein paar Tagen beruflich in London. Nun bin ich wieder im Land und habe noch keinerlei Verpflichtungen.»

«Super. Könntest du spontan heute Nachmittag? Um 16 Uhr? Wir könnten uns in unserem Proberaum treffen.»

«Klar, ich freue mich.»

«Prima, ich schicke dir gleich die Adresse. Bis später.»

Sofort besser gelaunt verstaut Joran das Handy und schleppt seine Einkäufe zur Bushaltestelle. Er schwitzt und atmet schwer. In London war es deutlich angenehmer. Ein Azorenhoch hält die Heimat seit Tagen in sengendem Griff. Immerhin sind die roten städtischen Busse wegen der Sommerferien nahezu leer. Und klimatisiert – halleluja.

Joran lässt sich in einen Sitz sinken und kramt sein Handy wieder hervor. Er ist nicht sicher, wie man den Vornamen der Bassistin schreibt. Marlen? Marlene? Und der Nachname klang auch, als könnte man ihn auf diverse Arten schreiben. Beringer? Oder Behringer?

Also tippt er stattdessen Eliot Wagner and the Bad Bats in das Suchfeld. Bestimmt ist er auch schon mal über Bilder der Band gestolpert, hat sie sich aber nie so bewusst angesehen.

Es gibt nur eine Frau in der Formation. Langsam lässt Joran das Handy sinken. Oh fuck. Nun ist ihm klar, warum Alain so geheimnisvoll getan und etwas davon geschwafelt hat, Joran sei zum Glück der Inbegriff von Professionalität.

Da ist Marlen Behringer auf seinem Bildschirm, auf der Bühne, einen silbernen Bass umgeschnallt. Ein Zauberwesen. Zarte Figur, langes aschblondes Haar, Feengesicht.

Es gibt noch mehr Bilder von ihr und Eliot Wagner, Arm in Arm, auf dem roten Teppich. Sie sehen aus wie füreinander gemacht. Er mit Rockstar-Ausstrahlung, dunkles, zur Tolle frisiertes Haar, ebenso dunkle Augen. Auch er könnte von Modezeitschriften lächeln. Was für ein Paar.

Dabei sind sie gar keines, verraten Joran die Klatsch-Artikel, die er nun überfliegt. Marlen Behringer ist Eliot Wagners beste Freundin. Wagner ist mit einer anderen Frau verlobt. Stimmt, Alain nannte einen anderen Namen. Irene? Irina? Nach seinem Durchbruch gab es zwar eine Menge Gerüchte über Behringer und ihn, man munkelte, sie sei die langjährige Lebenspartnerin, deren Identität Wagner so hartnäckig für sich behielt. Aber dann zerrte die nationale Boulevardzeitung Das Blatt seine Verlobte nach seinem Zusammenbruch ans Licht der Öffentlichkeit. Irina Agren, von Beruf Stylistin, optisch ganz anders als Marlen Behringer: Klein, rotblond, das Mädchen von nebenan. Irina. Wusste ich es doch.

Joran bemerkt im letzten Moment, dass der Bus an der Haltestelle angekommen ist, an der er aussteigen muss. Er ist froh, dass seine Drei-Zimmer-Wohnung in einem angenehm kühlen Altbau liegt. Dazu noch im Erdgeschoss, auf der schattigen Gartenseite. Zum Glück hatte er sie nur untervermietet und nicht ganz aufgegeben. Es war schön, in die eigenen vier Wände zurückkehren zu können und nicht von ganz vorn beginnen zu müssen. Seine Untermieter, ein Pärchen in seinem Alter, haben sich gut um die Wohnung gekümmert. Sogar alle seine Pflanzen haben überlebt.

Joran verstaut die Einkäufe und schiebt eine Pizza in den Ofen. Dazu hört er sich ein weiteres Mal No way out an, das letzte Album von Eliot Wagner. Der Titel passt auf traurige Weise viel zu gut. Am Tag der Plattentaufe war Wagner hinter der Bühne zusammengebrochen, erst ins Spital und dann in eine Spezialklinik eingeliefert worden, denn zum Burnout war eine Schlaftablettensucht hinzugekommen.

Das Album ist großartig. Die Musik hat unzählige Facetten, weil Wagner sich nicht gern in eine Schublade stecken lässt und viel herumexperimentiert. Der Grundton ist satter Rock, aber da sind auch Ska- und Punk-Elemente und zwischendurch ein Schuss Blues. No way out ist außerdem ziemlich elektronisch, mit vielen düsteren Beats. Über all dem schwebt Wagners dunkle Stimme, der man sich nur schwer entziehen kann.

Joran isst die Pizza auf seiner Couch, sieht sich weitere Bilder der Band und das eine oder andere Musikvideo an. Immer wieder Marlen Behringer, perfekt gestylt, in kurzen Kleidern und schweren Stiefeln.

Viel zu schnell ist es 15 Uhr geworden. Wenn Joran nicht auf seinem Rennrad durch die Hitze strampeln und schweißgebadet ankommen will, muss er in einer halben Stunde los. Der Proberaum ist am anderen Ende der Stadt. Er beschließt, ein Taxi zu nehmen, auch wenn das in Anbetracht seiner finanziellen Lage dekadent ist. Aber heute ist es ihm wichtiger, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.

Joran duscht und steht danach viel zu lange vor seinem Kleiderschrank. Normalerweise zieht er im Sommer einfach irgendeins seiner unzähligen Band-Shirts an. Dazu Shorts und Flip-Flops, aber das ist ihm heute zu leger.

Er entscheidet sich für seine besten Jeans und das neue Stereophonics-Shirt aus London. Er hat im Bus einen Artikel gelesen, in dem neben Eliot Wagner auch die anderen Bandmitglieder nach ihren Lieblingskünstlern befragt wurden. Die Phonics waren einer der Namen, die Marlen Behringer aufgezählt hatte.


 *

Joran sieht Marlen Behringer schon von Weitem. Sie wartet wie angekündigt auf dem Parkplatz vor dem Industriegebäude, in dem sich der Proberaum befindet.

«Hallo, Marlen.»

Mit einer fließenden Bewegung dreht sie sich nach seiner Stimme um. Graue Augen finden seine. Sie ist auch in der Realität so hübsch wie auf den Bildern. Hinzukommen ihre Aura und die raue Stimme. «Hey, Joran. Freut mich, dich kennenzulernen.» Sie streckt ihm die Hand entgegen und lächelt. Freundlich, ohne jede Allüren.

Joran erwidert das Lächeln. Professionelles Auftreten ist ihm nie schwergefallen. Er ist gut darin, seine Gefühle und Gedanken für sich zu behalten. Man sagt über ihn, er sei die Ruhe in Person. Umso mehr wundert er sich darüber, wie sehr Marlen Behringer ihn aus dem Konzept bringt. Im Dunstkreis der Bands, mit denen er beruflich zu tun hat, schwirren immer schöne Frauen herum. Normalerweise ist er deshalb in seinem professionellen Leben nicht überaus anfällig für weibliche Reize und lässt sich kaum davon ablenken. Bei Marlen war das schon bei den Bildern anders.

«Komm rein.»

Marlen geht voraus und schließt die Eingangstür auf. Obwohl sie beide Sneakers tragen, ist er mit seinen 1,92 nicht viel grösser als sie. Jorans Blick hängt an den scheinbar endlosen Beinen, als die Musikerin vor ihm durch den Flur in Richtung Lift geht. Im Alltag scheint sie nicht überaus eitel. Marlen trägt Jeansshorts, ein Nirvana-T-Shirt in Männergröße und ausgelatschte Chucks. Das Haar ist hochgebunden. In ihrem Gesicht konnte er keine Schminke ausmachen. Es ist sympathisch, dass eine Frau wie sie nicht den Anspruch hat, bis ins letzte Detail zurechtgemacht zu sein.

Im Lift mustert sie ihn von Kopf bis Fuß, scheinbar ohne eine Spur von Verlegenheit. Joran hält ihrem Blick stand, einen amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht. «Bin ich nicht das, was du erwartet hättest?», fordert er sie heraus. Mist, Vorsatz schon gebrochen. Er hat sich vorgenommen, strikt professionell zu sein. Aber Marlen hat etwas an sich, was ihn reizt, mit ihr zu flirten. Entweder man erstarrt vor Ehrfurcht oder man geht zum Angriff über.

Sie ist das offenbar gewohnt, denn sie grinst: «Du siehst ziemlich jung aus für einen Manager.»

«Ich bin 26», sagt er möglichst würdevoll. «Und ich habe Berufserfahrung.»

«Ich weiß. Du hast Dauerschleife gemanagt.»

Joran nickt. «Sie sind Jugendfreunde von mir.»

Das Hip-Hop-Duo war vor fünf Jahren national bekannt geworden. Mittlerweile sind sie eine fixe Größe im Business, oder wären, muss man sagen, denn sie befinden sich aktuell in einer kreativen Pause von unbestimmter Länge. Der Ruhm hat die Freundschaft zwischen Raphael und Bahir beschädigt – auch Joran hat mit beiden zurzeit nur wenig Kontakt, weil er für keine Seite Partei ergreifen will.

«Du siehst auch nicht uralt aus», meint Joran nun.

Marlen grinst noch breiter. Dieser sinnliche Mund. Hastig wendet er den Blick ab. «Man fragt Frauen nicht nach ihrem Alter, weißt du das nicht?» Ihre Stimme ist voller Provokation, aber in ihren Augen tanzt der Schalk.

«Das gilt nur für die ohne Selbstbewusstsein, und dazu scheinst du nicht zu gehören.»

Ihr Lachen füllt den ganzen Lift. Es ist genauso rau wie ihre Stimme. Ein Punkt für mich, denkt Joran zufrieden.

«Ich bin 31.»

Er zwinkert ihr zu. «Geht doch.»

Start: Aktuelle Arbeit

NEBELSCHWER

Erscheint am 2. Februar 2023

Klappentext

Dieses Kind. Sie weiß, dass ihr Herz bei seinem Anblick einen Sprung machen sollte, aber es bleibt ungerührt. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie plagt sie seit Tagen, nein, Wochen. Was läuft falsch mit mir? 

Alys Allenbach müsste glücklich sein. Mit ihrem Freund Alan lebt sie seit Jahren in Dublin. Doch nach der Geburt ihres Sohnes gerät die Grafikerin in eine tiefe Krise. Als Alan seiner Jugendliebe etwas zu nahekommt, fliegt sie in die alte Heimat. Dort stolpert sie ausgerechnet über den Mann, der sich einst gegen sie entschieden hat. Rockmusiker Eliot Wagner hat seine Karriere auf Eis gelegt, aber nichts von seinem Charisma eingebüßt. Er merkt schnell, dass es seiner früheren Affäre nicht gut geht, und möchte für Alys da sein. Aber wo vielleicht ein leises Echo früherer Gefühle ist, wird es ganz schnell ganz schön kompliziert.


Leseprobe


Dublin


Auf dem Spielplatz tobt das Leben. Ein Dreijähriger ist von der Schaukel gefallen. Er liegt wie ein verunglückter Käfer auf dem Rücken und brüllt. Sein Gesicht färbt sich tiefrot. Mit einiger Verzögerung schaut seine Mutter auf, stellt den Kaffeebecher beiseite und geht zu ihm. Zuvor schien ihr das Gespräch mit ihrer Freundin wichtiger als der Verbleib ihres Kindes. 

Im Sandkasten streiten sich zwei Schwestern um ein Seestern-Förmchen. Die blonden Korkenzieherlocken der größeren lassen einen Unschuldsengel vermuten, ein Bild, das offensichtlich trügt. Die kleinere dunkelhaarige hält sich mit all der Kraft, die eine Anderthalbjährige aufbringen kann, am Objekt der gemeinsamen Begierde fest. Nachgeben ist für sie keine Option.

Zwei Glitzerfeen in Prinzessin-Elsa-Kleidern, mit dicken Jacken gegen die Herbstbrise darüber, fahren mit ihren Rollern Rennen um das Klettergerüst.

Etwas abseits auf einer Parkbank sitzt eine Frau, eine Zeitung auf den Knien, einen Kinderwagen neben sich. Sie scheint von dem ganzen Treiben – dem Gelächter und Weinen der Kinder und dem Quietschen der verrosteten Schaukel – wenig mitzubekommen, als stünde ihre Bank unter einer Glasglocke.

Sie nimmt einen weiteren Anlauf, den Artikel über die anstehenden Lokalwahlen zu lesen, und scheitert erneut. Die Buchstaben und Wörter ergeben keinen Sinn, verschwimmen zu einem Brei, grau wie der Himmel über Dublin.

Ein unzufriedenes Geräusch kommt aus dem Kinderwagen. Hastig legt sie die Irish Times weg. Blaue Augen schauen sie unter der Wollmütze mit Bärenohren hervor an. Anklagend, scheint ihr. Ein Schmollmund, der sich gleich zum Weinen verziehen wird. Dieses Kind. Sie weiß, dass ihr Herz bei seinem Anblick einen Sprung machen sollte, aber es bleibt ungerührt. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie plagt sie schon seit Tagen, nein, Wochen. Was läuft falsch mit mir?

Cian war ein Wunschkind und die Schwangerschaft unkompliziert, bis auf extreme Müdigkeit am Anfang. Gleich nach dem positiven Test kaufte sie eine Musikdose. Jeden Abend im Bett legte sie den türkisfarbenen Drachen auf ihren Bauch und spielte die Musik ab. Mit allem anderen wartete sie länger, zu abergläubisch, zu vorsichtig. Aber dann, als die ersten zwölf Wochen um waren, brachte sie ihre Bankkarte zum Glühen. Vieles kaufte sie gebraucht, aber es gab zu viele süße Sachen. Im zweiten Trimester fühlte sie sich wohl. Die Frau im Spiegel gefiel ihr. Volleres Haar, gute Haut, endlich richtige Kurven. Voller Tatendrang und regelrecht detailversessen richtete sie das Kinderzimmer ein. Die Liebe zu schönen Dingen, die sie in ihrem Job als Grafikerin so prägt, machte auch vor dieser neuen Lebensphase nicht Halt.

In den letzten Wochen vor der Geburt hatte sie es sattgehabt, schwanger zu sein. Alles war anstrengend, besonders das Gehen. Dieser Druck vom Köpfchen ins Becken war unangenehm. Sie kam sich vor wie eine watschelnde Ente. Eine fette Ente, die allen anderen Enten im Teich alles wegfrisst. Schlafen konnte sie auch kaum mehr. Der Rücken schmerzte, die Hüften taten weh, überall zwickte und zog es. Und ständig diese Unsicherheit. War das Ziehen eben eine Wehe gewesen? Nur eine Senkwehe oder eine richtige?

Dann war das mit ihrer Mutter geschehen. Sie schiebt den Gedanken beiseite. Bislang hatte sie der Geburt ruhig entgegengesehen, denn so ist sie doch, sagt man über sie. Eine ruhige Frau. Doch nun mischte sich Trauer über den Verlust mit Angst vor der Geburt. Dann kam der errechnete Geburtstermin und es tat sich – nichts. Die Tage kamen und gingen, an den Zeigern ihrer Armbanduhr schien Kaugummi zu kleben. Nach einer Woche hatte auch ihre Frauenärztin genug. «We have to induce labour», sagte die Frau, mit der sie nie so recht warm geworden war. Obwohl ihr Englisch in den drei Jahren, in denen sie jetzt mit Alan in Dublin lebt, fast fließend geworden ist, tut sie sich manchmal noch schwer, diesen gutturalen Dialekt zu verstehen, besonders wenn sie müde ist. Induce Labour. Die Geburt einleiten. Genau das hatte sie nicht gewollt, genauso wenig wie einen Kaiserschnitt. Im Bus nach Hause kamen ihr die Tränen, als sie eine Nachricht an Alan tippte. Wir müssen morgen um 14 Uhr im Krankenhaus sein, Darling.

Cian beginnt zu weinen. «Sch-Sch.» Schnell hebt sie ihren Sohn aus dem Wagen, drängt gleichzeitig die Erinnerungen an die Geburt zurück, die an die Oberfläche wollen. Bald schmatzt und gluckst es an ihrer Brust. Dieses Kind und sein nicht endend wollender Hunger. Die ersten Wochen konnte sie gar nicht aufhören, zu stillen. Besonders gegen Abend ließ sich der Kleine kaum abdocken, geschweige denn ablegen. Richtig zufrieden ist er bis heute nur an der Brust oder im Tragetuch. Dass er wie eben einmal kurz im Wagen schläft ist selten. Es scheint, als würde ihr Sohn mit aller Macht einfordern, was seiner Mutter so schwerfällt zu geben. Ständige Nähe. Sicherheit. Liebe. Wie oft laufen ihr nachts die Tränen über die Wangen, wenn er nach einer halben Stunde schon wieder wach ist? Wie oft ist sie schon im Halbdunkeln durch die Wohnung geirrt, mit dem schreienden Kind auf dem Arm, irgendwann torkelnd vor Müdigkeit? Manchmal fragt sie sich, ob Cian spürt, dass es ihr schwerfällt, ihn zu lieben. Die Schuldgefühle fressen sie fast auf. Sie erfüllt all seine Bedürfnisse, stillt, trägt, streichelt, singt, summt, massiert das schmerzende Bäuchlein, kümmert sich, manchmal mechanisch, oft fühlt sie sich leer dabei, manchmal möchte sie laut kreischen vor Überforderung. Manchmal, in ganz schwarzen Momenten, kommen dunkle Gedanken gegenüber dem Kind – und dann noch mehr Schuldgefühle.

*

«Alys?»

Die Stimme ihrer Nachbarin Patricia hält sie auf, als Alys gerade die Haustür aufschließen will. Sie zwingt ein Lächeln auf ihr Gesicht und dreht sich um. «Ja?» Nach außen hält sie die Fassade aufrecht. Nur Alan sieht die Risse darin.

Patricia, von allen nur Pat genannt, ist 35, damit nur wenig älter als sie, hat drei Kinder zwischen vier und zwölf und einen versoffenen Mann. Viel gemeinsam haben sie nicht, trotzdem haben sie ab und zu einen Kaffee zusammen getrunken. Seit der Geburt hat Alys ihr nur kurz den Kleinen gezeigt und ist ihr ansonsten aus dem Weg gegangen.

Pat lauert auf den Treppenstufen vor ihrer Wohnungstür. «Lange nicht gesehen ...»

«Ja.»

«Du hast sicher alle Hände voll zu tun mit dem kleinen Schatz ...»

Pat steigt jetzt doch die Treppe hinunter. Beim Blick in den Kinderwagen kommt ein entzückter Laut über ihre Lippen. «Er ist so süß.»

Er schläft ja auch. Sogar ihre Gedanken sind heute langsam. Alys ist müde. So müde.

Pat scheint ihre Gedanken zu erraten. «Er schreit immer noch viel, nicht?»

Alys nickt. Wozu lügen? Die Wände in den rostroten Backstein-Reihenhäusern aus viktorianischen Zeiten sind hellhörig. Sie hört es doch auch, wenn Pat und Hugh sich lautstark streiten.

«Hör zu, ich würde gern mit dir reden ...» Pat hört sich unentschlossen an.

«Worüber denn?»

Pat streicht sich eine blondierte Strähne hinters Ohr. «Trinken wir einen Kaffee bei mir?», lautet die Gegenfrage.

«Okay.» Eigentlich wollte sie sich hinlegen und versuchen, zu schlafen. Oder die Wohnung aufräumen, bevor Alan wieder die Augen rollt. Früher war sie nicht so unordentlich.

Patricias Wohnung hingegen ist bis auf etwas Spielzeugchaos im Wohnzimmer blitzblank. Die Möbel sind alt, das Sofa verschlissen, aber sie macht mit gemütlichen Decken, Kissen und vielen Familienfotos das Beste daraus. Alys weiß, dass Pat jeden Cent, den Hugh nicht im Pub ausgibt, zweimal umdrehen muss.

Bald dampft eine Tasse Kaffee vor ihr. Alys hält sich mit beiden Händen daran fest. Pat und sie können sich auf Promiklatsch einigen. Und auf Kaffee. Mit der Tee-Obsession auf den britischen Inseln hat Alys nie viel anfangen können.

Pat werkelt in der bereits ordentlichen Küche herum, schiebt ein Glas dort und eine Pfanne woanders hin. Alys studiert ihren Rücken und hofft, dass sie mit der Sprache rausrückt, bevor Cian wieder aufwacht.

«Ich habe Alan mit einer Frau gesehen.»

Alys setzt die Tasse ab. Wie bitte?, müsste sie wahrscheinlich jetzt fragen. Oder: Eine Frau? Was für eine Frau? Stattdessen kommt ein «Wo?» über ihre Lippen.

«Im Swan, das ist ein Pub in den Silicon Docks.»

Die Silicon Docks wird die Gegend um Grand Canal Dock genannt, weil dort viele Tech-Firmen ihren europäischen Hauptsitz haben. Unter anderem auch der IT-Riese, bei dem Alan im Controlling arbeitet.

«Er arbeitet in der Gegend. Vielleicht war es nur eine Arbeitskollegin.» Könnte doch sein? Was Pat eben gesagt hat, will nicht in ihren Kopf. Alan ist nicht der untreue Typ. Natürlich hat ihre Beziehung in den letzten Wochen und Monaten gelitten. Aber das ist doch normal, wenn man ein Baby bekommt – und kein Grund, gleich fremdzugehen. Nein, sie kann sich das nicht vorstellen.

«Vielleicht war es eine Arbeitskollegin, aber es war keine Nur-Situation, Alys. Sie haben sich geküsst.»

Sie sollte wütend werden oder zu weinen beginnen. Aber alles, was sie fühlt, ist Leere – und vielleicht eine dumpfe Enttäuschung. Es fällt ihr in letzter Zeit schwer, ihre Gefühle zu benennen. Sie vermischen sich zu einem grauen Brei, wie Nebel, wie vorhin auf dem Spielplatz die Buchstaben in der Zeitung.

Eine Weile ist es still in der Küche, bis auf das Ticken der Wanduhr.

«Wie haben sie sich geküsst?»

Pat hebt eine Augenbraue. Die Frage scheint sie zu erstaunen. Vielleicht ist es aber auch Alys‘ Reaktion – oder das Fehlen ebendieser. «Es gibt viele Arten, sich zu küssen.» Selbst in ihren eigenen Ohren hört Alys sich müde an.

«Es war kein wildes Rumknutschen, falls du das meinst. Es war kurz und vorsichtig. Aber auch vertraut ...»

«... als würden sie sich kennen. Als wären Emotionen im Spiel.» Alys hebt die Tasse wieder, um ihre Finger zu wärmen.

«Ja. Das klingt doof ... aber es wirkte ... irgendwie wehmütig.»

Wehmütig? Alys blickt Pat das erste Mal richtig in die Augen. Registriert, dass die Falten um die braunen Augen tiefer geworden sind, seit sie sich vor anderthalb Jahren bei ihrem Einzug nebenan kennenlernten. Der Ansatz rausgewachsen, der Nagellack gesplittert, die Haltung krumm. Zu viele schwere Kinder und Einkäufe geschleppt, zu viele Sorgen, die drücken und lasten. «Hat Alan dich gesehen?»

«Nein, ich denke nicht. Ich war nur kurz da, und es war voll.»

«Was hast du dort überhaupt gemacht?»

«Du meinst, weil ich nicht zu all den Nerds dort passe?»

Alys versucht ein Lächeln. «Nicht wirklich, nein.»

«Da hast du wohl recht. Ein gemeinsamer Freund hat mich angerufen. Ein Kumpel von Hugh, besser gesagt. Sie waren zusammen unterwegs, und Hugh hat mal wieder zu viel getrunken. Der andere wollte nicht länger auf ihn aufpassen. Ich habe die Kinder zu meiner Mutter geschafft und wollte Hugh holen, aber da war er schon gegangen.» Sie dreht sich abrupt weg, als wolle sie nicht, dass Alys ihren Gesichtsausdruck sieht.

«Wann war das?»

«Mittwoch vor einer Woche. Ich habe ein paar Tage gebraucht, um ...»

«... dir zu überlegen, ob du mir es sagen sollst.»

Pat dreht sich wieder zu ihr um. Ihre Augen glänzen verräterisch. «Genau. Ich will mich nicht einmischen. Es ist nicht so, dass wir beste Freundinnen wären oder so. Wir sind sehr verschieden, du und ich ...»

Alys nickt.

«Aber ich mag dich. Ich weiß, dass Hugh mich betrügt und ein Trinker ist. Mir ist klar, dass die Leute über uns reden und sich fragen, warum ich ihn nicht verlasse. Das tue ich manchmal selbst. Aber ich habe Angst – und ich bin so nicht erzogen worden.» Sie greift nach dem silbernen Kreuz, das in ihrem Ausschnitt baumelt. «Eine Ehe wirft man nicht einfach so weg. Das haben meine Eltern mich gelehrt und daran glaube ich, auch wenn es manchmal schwierig ist. Aber Alan und du – ihr habt immer glücklich ausgesehen. Du bist anders als ich. Du hattest zu Hause deine eigene Firma und eine Karriere. Du hast auf eigenen Füßen gestanden und könntest es jederzeit wieder tun. Ich habe dich nie für jemanden gehalten, der Untreue toleriert.»

«Das tue ich auch nicht ...» Und doch, vielleicht ist das, was ihr jetzt passiert, Karma. Die Retourkutsche des Schicksals, nachdem sie selbst einmal fast eine Beziehung zerstört hat. Als du das andere Mädchen warst. Sie versucht, das Gesicht zu ignorieren, das sich in ihre Gedanken schiebt. Eliots Anblick schmerzt immer noch. Nach all den Jahren.

Aus dem Kinderwagen im Flur kommt ein Meckern. Cian ist wach, sie ist froh darüber. Froh, aufstehen und gehen zu können. Um nachzudenken, bis Alan nach Hause kommt. «Danke, dass du es mir gesagt hast. Wirklich.»

Pat zieht sie an sich. Ihr Busen ist weich. Wahrscheinlich könnte man sich daran gut trösten lassen. Wäre man nicht so verkorkst wie ich.


Start: Aktuelle Arbeit
allef-vinicius-9fZcbFucmXI-unsplash_edited.jpg
Start: Bild

SEHNSÜCHTIG

19. Februar 2013. Zweite Auflage November 2015. Neue Printauflage folgt im Winter 2022/23. Das E-Book gibts bei Amazon.

Klappentext

„Das heisst, du und ich sind Freunde?“, sinniert er.
„Ich habe keine Ahnung, was wir sind, Eliot."
Die Worte kommen leise, und sie scheint es schwierig zu finden,
ihn dabei anzusehen.
Er atmet aus.
„Ich auch nicht ...“

Alys’ Grafikerinnenherz schlägt höher! Die 27-jährige, die sich eben selbstständig gemacht hat, soll für Eliot Wagner ein CD-Booklet gestalten. Eliot ist eigentlich Bibliothekar und seine Rockband 'The Bad Bats' gilt seit einigen Jahren als 'ewiger Geheimtipp'. Nachdem er den neuen Titelsong für die nicht totzukriegende Vorabend-TV-Seifenoper 'Sehnsüchtig' geschrieben hat, spricht plötzlich die ganze Stadt, vielleicht sogar das ganze Land über den Musiker. Die Grafikerin und ihr Kunde freunden sich zwischen Sitzungen, Entwürfen und unzähligen Kaffees an. Alys verliert ihr Herz nicht nur an den Auftrag, sondern bald auch an den Mann, der sie engagiert hat. Sie versucht, ihre wachsende Faszination für ihn zu verstecken, schliesslich ist Eliot seit Jahren liiert und hat eine kleine Tochter. Dann verändert sich der bis anhin stets gut gelaunte und lebensfrohe Eliot plötzlich ...

Leseprobe

Jemand hat einen Holzkeil unter die Eingangstür geschoben, sodass sie einen Spalt offen steht. Eliot, wegen der Besprechung? Oder jemand der Anwohner? Dann fällt ihr der Umzugswagen auf, der etwas weiter hinten auf dem Gehsteig steht. Jemand zieht ein. Viel Spaß dabei, die Möbel die alte Wendeltreppe hoch zu bugsieren. Hoffentlich ist der Neuankömmling kein Klavierspieler. Dieser Gedanke lässt sie lächeln. Dann fällt ihr Eliots Klavier im Atelier ein. Dafür war wohl ein Möbellift nötig.

Sie betritt das Haus und steigt die Treppe hoch. Eliots Atelier ist im vierten Stock. Sie ist schon kurz vor dem zweiten außer Atem. Warst du letztes Mal auch schon so steil, Treppe? Die ausgetretenen Steinstufen knirschen unter dem Takt ihrer Schritte. Letztes Mal warst du zu beschäftigt damit, seinen Hintern anzustarren, Mädchen. Blödsinn.

Sie ist im dritten Stock angekommen und macht eine kurze Verschnaufpause. Dann dringt eine Stimme an ihr Ohr, eine Stimme, die sie kennt, aber etwas ist anders, sie klingt wütend ...

„Ich weiß, dass es nicht so geplant war, aber ...“ Das ist Eliot. Und er ist laut. „Jetzt hör mir doch mal zu ...“ Langsam nimmt sie Treppenstufe für Treppenstufe und mit jeder Stufe versteht sie ihn besser. „Nein, nein, ich werde es nicht absagen!“ Sie lauscht auf eine andere Stimme, aber da ist keine. Er ist am Telefon. „Nein“, sagt er wieder. Und das Wort fällt noch einige weitere Male. Von „Nein“ zu „Nein“ wird seine Stimme lauter. Sie ist mittlerweile fast bei der Tür zum Atelier angekommen. Fehlen noch zwei Stufen. Was mache ich jetzt? Ich kann jetzt doch nicht klopfen, mitten in diesem Wortgefecht. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und blickt auf das Display. 15:01. Um 15 Uhr waren sie verabredet. „Das tut überhaupt nichts zur Sache“, herrscht er die andere Person an.

Sie beschließt, genug gehört zu haben, und steigt, so leise sie kann, die Treppe wieder bis in den dritten Stock hinab. Dann wartet sie einen Augenblick und steigt sie wieder hoch. Diesmal tritt sie laut auf. „Ich diskutier das nicht länger mit dir, nicht so ...“

Sie steigt weiter die Treppe hinauf, lässt die Absätze ihrer Stiefeletten über die Treppenstufen klappern. „Ich hab jetzt keinen Zeit dafür, bye.“ Er legt offensichtlich auf.

„Scheiße“, schallt gleich darauf durchs Atelier. Im gleichen Moment zerklirrt etwas an einer Wand. Er hat etwas gegen die Wand geschmissen, eine Kaffeetasse? Sie hält erschrocken inne. Es klingt nicht, als wäre er in der optimalen Verfassung für eine entspannte Besprechung für das CD-Booklet. Es klingt, als wäre er überhaupt nicht in der Verfassung für irgendein Treffen. Aber sie kann doch nicht einfach nicht auftauchen. Sie sollte schon dort sein. Und zum Absagen ist es jetzt auch zu spät.

Also atmet sie aus, dann steigt sie die letzten paar Stufen hoch und klopft an die Tür. Im Atelier ist es jetzt still. Nur ihr Klopfen hallt im Flur wider. Eine Weile geschieht gar nichts. Sie klopft erneut. Diesmal lauter. „Einen Moment.“ Dann nähern sich Schritte der Tür, und er öffnet sie oder reißt sie vielmehr auf. Einen Augenblick lang schauen sie einander an. Sein Haar ist wirr, als hätte er es zerrauft; hat er wahrscheinlich sogar. In den Augen flackert Ärger, obwohl er offensichtlich versucht, seine Miene unter Kontrolle zu haben. Der Kiefer ist angespannt und verrät ihn ebenfalls.

„Hallo“, sagt sie vorsichtig.

„Hallo“, erwidert er. Freundlich klingt anders. „Komm rein“, fügt er hinzu. Seine Stimme klingt jetzt gepresst, mühsam beherrscht.

Sie zögert unter dem Türrahmen, unbewusst, aber er nimmt es wahr. Er streckt eine Hand aus, eine kleine Bewegung, die hilflos wirkt. „Komm, gib mir deine Jacke.“

Sie macht endlich den Schritt über die Türschwelle, schält sich aus der Lederjacke und drückt sie ihm in die Hand, ohne ihn dabei richtig anzusehen. Du bist ein Feigling, sagt eine Stimme in ihrem Kopf. Die ganze Situation ist unangenehm. Die Luft im Atelier scheint immer noch zu flirren, als läge der Streit darin und lade sie elektrisch auf. Und obwohl Alys mit dem Ganzen nichts zu tun hat, setzt es ihr zu. Sie war schon immer sensibel für zwischenmenschliche und emotionale Schwingungen.. Deshalb hasst sie Streit und Unfrieden jeder Art.

Als Kind konnte sie aus ihrem Zimmer kommen und spürte sofort, wenn sich ihre Eltern einen Stock weiter unten gestritten hatten, ohne irgendeinen Laut davon mitbekommen zu haben. Es lag in der Luft – und sie fühlte es. Es zog ihr Inneres zusammen, machte ihr das Atmen schwer. Genau wie jetzt.

Eliot betrachtet sie einen Augenblick, als würde er es merken. Sie lässt ihren Blick durch das Atelier schweifen. Draußen scheint die Sonne, unbeeindruckt von der Situation, sie lässt das Kupferdach der nahen Kathedrale glänzen. Alys’ Blick fällt auf die Scherben auf dem Teppich neben dem Gitarrenständer. Grüne Scherben, die gleiche Farbe wie die Kaffeetasse letztes Mal.

Er registriert ihren Blick, dreht sich weg und hängt ihre Jacke an den Kleiderständer neben der Tür. Selbst sein Rücken unter dem dunkelblauen Hemd sieht abweisend aus. „Setz dich, ich mach Kaffee“, meint er und marschiert in den Nebenraum. „Mit Milch, ohne Zucker“, sagt er, halb zu sich, halb zu ihr. Er hat es sich gemerkt. Der Knoten im Bauch löst sich etwas. Sie setzt sich auf den gleichen Stuhl wie letztes Mal und holt iPad, Notizblock, Agenda und Schreibzeug hervor. Sie kann hören, wie er im Nebenzimmer die Kaffeemaschine malträtiert. Noch ist die Wut nicht verflogen, offensichtlich.

Er kommt wieder zurück, stellt ihr die Kaffeetasse hin, sie klirrt protestierend. „Danke“, sagt sie leise.

Er setzt sich, lehnt sich im Stuhl zurück, schließt die Augen und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Sie rührt währenddessen eifrig in ihrem Kaffee. Er öffnet die Augen wieder. „Sorry für den unfreundlichen Empfang!“

Sie sieht auf. Ihre Blicke treffen sich. Er wirkt unsicher. Ausgerechnet der selbstsichere Eliot Wagner. „Das macht nichts.“

„Es hat nichts mit dir zu tun ... oder mit dem Auftrag“, erklärt er.

„Okay“, sagt sie, weil ihr nicht anderes einfällt. „Es macht nichts“, wiederholt sie.

Er steht wieder auf, zerrt an seinem Hemd. „Ich komm gleich wieder, ich brauch nur eine Zigarette und etwas frische Luft.“ Es klingt entschuldigend.

„Sicher.“

Er geht zum Kleiderständer und kramt in der Tasche seines Blazers. Offensichtlich findet er nicht, wonach er sucht. Irgendein Laut folgt, der wie ein unterdrückter Fluch klingt.

„Eliot“, sagt sie leise. Er dreht sich zu ihr um. Sie nimmt ihre Zigarettenschachtel und das Feuerzeug aus der Tasche und ist mit zwei Schritten bei ihm. Drückt ihm beides in die Hand. Sein Blick trifft ihren und auf einmal ist das Gefühl vom Konzert wieder da. Rasch macht sie einen Schritt rückwärts.

„Vielen Dank“, sagt er. Diesmal klingt es ruhig. Er verlässt das Atelier, sie hört ihn die Treppe hinab eilen.

Im gleichen Moment klingelt sein Handy auf dem Tisch. Sie kennt das Gitarrenriff. ‚Gimme Stitches’ von den Foo Fighters. Ein Bild und ein Name flammen auf dem Display auf. Alys will nicht hinsehen, tut es trotzdem. Irina, sagt das Handy und zwei Gesichter strahlen sie an, Wange an Wange, Eliot und Irina, der Hintergrund sieht nach Süden aus, nach Meer. Irgendwann verstummt das Handy.

Alys geht durch das Atelier und blickt zum Fenster hinaus. Auf dem Gehsteig unten marschiert Eliot auf und ab, zündet sich eben eine zweite Zigarette an. Eine reichte wohl doch nicht. Das Handy hinter ihr piepst zweimal, eine SMS, wahrscheinlich die Mitteilung, dass Irina auf die Mailbox gesprochen hat.

Kurz darauf kommt Eliot wieder zurück. Er sieht ruhiger aus, die Kälte hat ein bisschen Farbe auf seine Wagen gebracht. Er hat markante Wangenknochen, scharf geschnitten, würde es in einem kitschigen Roman heißen, diesen Romanen, wie Alys’ Großmutter sie gern las. Die Schundbücher sehen immer gleich aus. Eine rotwangige, blondgelockte Schönheit, dralles Dekolleté, freizügiges Kleid, lächelt dümmlich vom Cover und lehnt sich an eine breite Heldenbrust. Der Held wiederum sieht aus wie eine Mischung aus Pirat und Stripper der Chippendales und hat langes, blondes oder schwarzes Haar.

Auf jeden Fall hat Eliot scharf geschnittene Wangenknochen oder wie immer man es nennen möchte. Wangenknochen wie Johnny Depp oder Orlando Bloom, in den sie sich als Teenager verguckte, als dieser als Elb Legolas über die Kinoleinwand flimmerte. Sie erinnert sich an die Titelgeschichte in einem der Mädchenheftchen, die sie damals las, war es ‘Mädchen’ oder doch ‘Bravo Girl’? Egal. „Wangenknochen, mit denen man Papier schneiden könnte“, hieß es da.

Sein Blick liegt auf ihrem Gesicht, als frage er sich, worüber sie nachdenkt.

„Dein Handy hat vorher geklingelt“, sagt sie. „Toller Song, übrigens, ‚Gimme Stitches’“, schiebt sie nach.

Er lächelt sie etwas abwesend an und greift nach seinem iPhone, blickt auf das Display. Ein Muskel in seinem Gesicht zuckt, aber sein Blick bleibt ungerührt. Er legt das Handy wieder hin.

Dann erinnert er sich offenbar an ihre Zigaretten und ihr Feuerzeug, holt beides aus den Taschen der grauen Jeans und lässt es über den Tisch rutschen. Sie packt beides wieder ein. „Danke“, sagt er noch einmal. Dann blättert er in seinen Notizen, die für die Besprechung auf dem Tisch bereit liegen. Saubere Schrift, energisch, schwarzer Kugelschreiber, mehrere Seiten, dazwischen diverse Skizzen. Er scheint sich viele Gedanken gemacht zu haben.

Er betrachtet die Seiten einen Augenblick. Dann blickt er auf, klappt das Notizbuch mit Schwung zu. „Komm mit.“ Er steht wieder auf. Schiebt Notizbuch und Handy in eine braune Lederumhängetasche, die aussieht, als schleppe er sie seit Jahren mit sich herum. Sie steht auf und betrachtet ihn überrascht.

„Ich muss raus hier, lass uns irgendwo einen Kaffee trinken gehen!“ Mit diesen Worten ist er beim Kleiderständer und schlüpft in seinen Blazer. Eliot Wagner. Kreativ, charmant, ironisch, perfektionistisch, das hatte zumindest seine Freundin gesagt – und wie sie heute gemerkt hat, launisch. Oder emotional? Sie stellt ein weiteres Adjektiv in die Reihe und es passt. Unberechenbar.

Er hat ihre Jacke vom Haken genommen und hält sie auf, damit sie hineinschlüpfen kann. Der unberechenbare Gentleman. Die verräterische, kleine Stimme in ihrem Kopf, die so sehr nach ihrer eigenen klingt, flüstert ein weiteres Adjektiv. Alys nimmt es zur Kenntnis und hört dann weg. Faszinierend. Faszinierend. Sei still.

„Wo gehst du so Kaffee trinken?“, will er wissen, während er die Tür des Ateliers hinter ihnen abschließt.

„Ich gehe meistens ins ‚Lila’, da ist es sehr gemütlich und meistens auch sehr ...“

„... voll, stimmt“, vervollständigt er ihren Satz. „Ich mag es auch. Aber ich hab eine andere Idee. Komm mit.“ Diese beiden Wörter hat sie heute schon einmal gehört. Die erste Begegnung im ‚Mon Amour’ kommt ihr in den Sinn. Komm her, sagte er.

Komm her. Komm mit. Ein Mann, der weiß, was er will und gern die Richtung vorgibt. Sie fragt sich, ob er privat auch so ist. Vermutlich schon. Ob das auf Dauer anstrengend werden kann?

Er geht quer über die Straße, und sie folgt ihm. Wie letztes Mal betreten sie die Tiefgarage, wo sein Auto steht. Wobei ‚Auto’ eine fast zu profane Bezeichnung ist, auch wenn es natürlich stimmt. Wieder betrachtet Alys den Wagen mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid, bevor sie einsteigt.

Eliot fährt aus der Tiefgarage und dann in Richtung Hauptbahnhof. Dort nimmt er die Brücke stadtauswärts.. Eine ganze Weile ist es still. „Kann ich noch eine Zigarette haben?“, fragt er und probiert sein Lächeln an ihr aus.

„Natürlich“, sagt sie.

„Ich kauf dir eine neue Packung“, verspricht er.

„Das musst du nicht.“

„Mal sehen. Sonst schreibst du es einfach unter Spesen auf.“ Sie grinsen sich an. Er zündet sich die Zigarette an, wirft einen Blick in den Rückspiegel und setzt den Blinker. Seine Art zu rauchen, ist typisch Mann. Und sexy. Wie die Stars in den alten Hollywoodfilmen, die sie immer faszinierten. Clark Gable. Oder Humphrey Bogart.

Eliot nimmt jetzt die Autobahnauffahrt. Wohin fahren wir? „Wie war die Party im Secret?“, will er jetzt wissen.

„Super“, gibt sie zur Antwort.

„Irgendwann muss ich da auch mal wieder hin. Zurzeit verbringe ich meine Abende im Studio.“

Nicht zuhause?, will sie fragen, aber sie lässt es sein. Wäre erstens nicht besonders schlau und zweitens geht es sie nichts an.

„Hat Mascha dir erzählt, was ich gesagt habe?“

„Dass Männer Schweine sind?“, gibt sie zurück. Er lacht dunkel auf. Es scheint irgendwo in ihr widerzuhallen. „Ja, sie hat es mir gesagt.“

„Und, habt ihr meinen Rat befolgt? Das hoffe ich doch, schließlich bin ich älter als ihr und habe viel mehr Lebenserfahrung.“ Schalk tanzt in den braunen Augen – ihn wieder gut gelaunt zu sehen, ist schön.

„Ja, doch, wir haben ihn befolgt. Obwohl, was ‚Bad Boys’ anbelangt, braucht Mascha eindeutig mehr gute Ratschläge als ich.“

„Du bist ja auch liiert“, wirft er ein.

Ich hätte ihm einfach die Wahrheit sagen sollen. Oder dass Janosch nur ein Freund ist. Sie blickt ihn an, dann zum Fenster hinaus, als gäbe es da Interessanteres zu sehen als die Autobahn mit ihren zwei Spuren, den Leitplanken und dem Gebüsch daneben.

„Janosch heißt er doch, oder?“

„Ja.“

„Erzähl mir etwas über ihn.“

Alys furcht die Stirn. „Er ist auch Grafiker, allerdings hat er sich auf Webdesign spezialisiert. Er ist zwei Jahre älter als ich – und ebenfalls selbstständig.“

„Wo habt ihr euch kennengelernt?“

„Während des Studiums. Er war ein Jahr über mir. Ich habe ihn lange nur vom Sehen her gekannt. Auf meiner Abschlussfeier sind wir uns dann über den Weg gelaufen, Alumnis waren auch eingeladen.“

„Und dann, zack, hat es gefunkt“, meint er.

„Ja, so ähnlich.“ Eigentlich hatten wir beide zu viel getrunken und eins kam zum anderen. Na ja. So wie er es eben gesagt hat, klingt es besser.

„Wie lange seid ihr schon zusammen?“, will er wissen und drückt das Gaspedal durch. Das Auto beschleunigt, und Alys wird einen Augenblick in den Sitz gedrückt.

Zusammen? Haha. Sie überlegt, zählt die Monate an ihren Fingern ab. „Ein knappes halbes Jahr“, sagt sie dann. „Aber ich weiß nicht, er und ich, das ist ... zurzeit ist das schwierig.“

Er löst seine rechte Hand vom Lenkrad und legt sie auf ihre Schulter, nur kurz, fast beiläufig. „Jeder hat mal eine Krise, das renkt sich wieder ein.“ Er nimmt die Hand weg und blickt wieder auf die Straße. „Wir sind gleich da.“

„Raststätte, 1500 Meter“, sagt das Schild, das sie eben passieren. Eine Raststätte? Sie gesteht sich die Überraschung ein und kann seine Hand irgendwie immer noch auf ihrer Schulter spüren. Sie kennt die Raststätte nicht, aber sie fährt auch nur selten Auto. Als sie in Sicht kommt, blickt Alys verdutzt zu Eliot.

„Toll, nicht?“ Er grinst. Die Raststätte ist einem amerikanischen Diner nachempfunden und könnte direkt aus einem Film stammen. ‚Betty‘s Diner’ steht auf der Leuchtanzeige, kitschig geschwungene Schrift in Pink, sie flackert müde.

„Wow“, sagt Alys.

„Ich komme gerne her. Die Burger sind klasse, die Pommes triefen vor Fett“, er tätschelt sich den Bauch, an dem kein Gramm Fett zu viel ist, „der Kaffee kann zwar nicht mit der Maschine in meinem Atelier mithalten, eigentlich ist er sogar ziemlich scheußlich, aber es läuft gute Musik, Rock’n’Roll und Country. Und meistens ist es wie ausgestorben bis auf ein paar müde Lastwagenfahrer. Außerdem sagt man doch, dass räumliche Veränderung die Kreativität anregt.“ Mit diesen Worten greift er nach dem Türgriff und steigt aus.

Sein Handy spielt wieder den Song der Foo Fighters. Er wirft einen Blick auf das Display, diesmal geht er ran. „Hey, Sunshine“, sagt er, es klingt fröhlich und liebevoll. Irina? Dann war es vielleicht doch nicht sie, mit der er am Telefon stritt, obwohl es danach klang.

„Ich hab eine Besprechung wegen des Booklets, ich habe jemanden ausgewählt, die junge Grafikerin, von der ich dir erzählt habe, sie heißt Alys ...“ Er zwinkert ihr zu, drückt mit der freien Hand die Tür zum Diner auf.

Er hat ihr – es ist wohl eine Sie – von ihr erzählt? Aber dann kann es nicht Irina sein. Nur wen nennt er dann Sonnenschein?

„Nein, ich bin nicht im Atelier. Wir sind raus gefahren in Betty’s Diner. Erinnerst du dich? Hier haben wir ‚By chance’ geschrieben.“ Er lacht ins Telefon und die Fältchen um seine Augen vertiefen sich. ‚By chance’ ist ein Song auf ‚You don’t own me’, einer von Alys‘ liebsten sogar. Also redet er mit jemandem der Band?

„Ich komm später im Studio vorbei. Wann bist du etwa dort? ... Okay, 21 Uhr schaff ich auch, ich muss vorher noch heim, und dort brauch ich vielleicht eine Weile ...“ Er wirft einen Seitenblick auf Alys und bricht ab. „Ja, das ist super. Alles klar, bis später, pass auf dich auf!“

Er nickt der Bedienung hinter dem Tresen zu und steuert den hintersten Tisch an der Fensterfront an. Auch im Inneren ist das Diner stilecht bis ins letzte Detail. Schwarze und weiße Fliesen. Rote, glänzende Bänke mit hohen Rückenlehnen, Ketchup-Flaschen auf den schwarzen Tischen. Neonröhren. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos, Cadillacs, Marilyn Monroe, Elvis und natürlich James Dean.

„Das eben war Marlen, meine Bassistin“, erklärt er und setzt sich ans Fenster.

Sie setzt sich ihm gegenüber. „Ich erinnere mich an sie. Sie ist bildschön und hat eine tolle Bühnenpräsenz“, sagt Alys.

Er lächelt. „Oh ja. Sie ist definitiv ein optischer Gewinn für die Band. Außerdem ist sie eine super Bassistin und eine meiner ältesten Freunde. Wir kennen uns noch vom Gymnasium. Zurzeit spielt sie ab und zu mit ‚Manor on a Hill’. Kennst du die Band?“

Alys nickt. „Ich habe sie vorletzten Sommer auf einem kleinen Festival gesehen. Sie sind gut.“

„Ja, Noah, der Sänger, versucht seit Jahren, mir Marlen abspenstig zu machen. Aber das wird ihm nicht gelingen.“ Er lacht.

Die Bedienung schlendert zu ihnen hinüber. ‚Cheryl’, steht auf ihrem Namensschild. Alys fragt sich, ob das ihr richtiger Name ist – sie sieht mehr nach einer Rosemarie oder Lisbeth aus. Sie ist etwas über 50, trägt einen schwarzen Jupe und ein Top mit Leopardenmuster, ihr Haar ist feuerrot gefärbt und in ihr zerknittertes, solariumbraunes Dekolleté ist eine rote Rose tätowiert. Ihre Augen unter dem blau glitzernden Lidschatten blicken müde in die Welt. Ihr Hüftschwung ist allerdings ziemlich gekonnt. „Was darf es sein?“

Start: Aktuelle Arbeit
bottom of page